Open Source, Kollaboration, Trittbrettfahrerei und Stoffkreisläufe

(–;de)

Jenni hat mal Infografiken zum Stichwort „Open Source“ gesammelt. Die meisten sind zu Open Source Software. Ich hab sie mir angesehen und dabei kam mir die Idee zu diesem Posting. Auf zwei Grafiken will ich dafür kurz zeigen.

Die Grafik „The History of Open Source Software“ mit Quellenangabe „IBM“ behauptet, dass sich 2016 Open Source Software in 99% der Software-Porfolios der 2000 weltweit größten Unternehmen befinden wird. 2010 waren es 75%. Wie auch immer diese Zahl zustande kommt und ob sie stimmt oder nicht, sie zeigt den großen Umzug in Richtung Open Source. Der Trend ist überall sichtbar.

Grafik 1 (Ausschnitt aus the History of Open Source)

Die zweite Grafik heißt „2013 The Future Of Open Source“ und stammt von Black Duck. Mich interessiert diese Aussage: „57 % der in einer Studie befragten Unternehmen stimmten überein mit der Ansicht, dass Unternehmen mit ihren Konkurrenten in den nächsten 3 Jahren kooperieren werden in Communities.“

Grafik 2 (Ausschnitt aus 2013 The Future of Open Source)

Was kann man daraus ablesen? Was steckt hier drin?

Der Erfolg der offenen Kooperation

Der interessanteste Punkt ist dieser: „Konkurrenten kooperieren miteinander in Communities.“ Wie kann man das verstehen?

Ich gebe mal ein Beispiel. Das Beispiel ist nicht ganz korrekt bzw. halb konstruiert. Bei genauerem Hinsehen ist es ein bisschen komplizierter (1). Aber alle Schlüsse, die hier aus der vereinfachten Version gezogen werden, sind auch für die komplizierte gültig. Die vereinfachte Version reicht, um ein paar Grundgedanken zu verdeutlichen.

Libre Office ist ein Open Source Office Programm und der Nachfolger von Open Office.org. Es ist sehr bekannt, weit verbreitet und sein Erfolg nimmt weiter zu. Der große Konkurrent ist Microsofts Office mit z.B. Microsoft Word.

Office Programme brauchen heute fast alle Unternehmen. Sie laufen auf hunderten oder gar tausenden Rechnern. Von der Anzahl der Rechner hängt es ab, wieviel man Microsoft für Microsoft Office bezahlt. Dabei kommt schnell eine bedeutende Summe zusammen. Libre Office hingegen ist umsonst. Man kann es einfach aus dem Web runterladen und installieren. Die Benutzung von Libre Office kann einem Unternehmen beachtliche Summen einsparen. Es ist unter Umständen immer noch günstiger, einen Programmierer zu beschäftigen, der sich an der offenen Entwicklung von Libre Office beteiligt (z.B. um für das Unternehmen wichtige Beiträge zum Code zu liefern). Einige Unternehmen verfahren so. Im Grunde entwickeln sie dabei gemeinsam ein Schreibprogramm – sie kollaborieren in Communities, der Entwickler-Community von Libre Office. Wenn man so will, teilen sie sich die Kosten, sie geben in der Gesamtheit weniger Geld aus. Und je größer die Gemeinschaft wird, desto weniger muss jeder einzelne investieren.

Exkurs: Open Source und Trittbrettfahrerei

Nun wird man nicht lange warten müssen, bis irgendwer das Trittbrettfahrer-Argument aufbringt: „Wenn die Software umsonst ist, wieso soll dann irgendwer einen Programmierer dafür bezahlen! Für etwas bezahlen, das umsonst ist, das ist irrational. Also wird es solche Software gar nicht geben!“

Diesem Einwand fehlt offensichtlich jeder Boden, denn wir sehen das Gegenteil ja überall passieren. Trotzdem hat er eine Logik, die heute in den Köpfen der allermeisten steckt. Darum fällt fast jedem dieser Einwand ein. Ich will deswegen hier mal versuchen zu erklären, wieso er irrt – wieso Open Source funktioniert und was dabei geschieht.

Der Einwand übersieht vollkommen, dass Menschen einer Vielzahl von Motiven folgen können. So wenig Geld wie möglich auszugeben, ist nur ein mögliches Motiv. Ein paar weitere Motive für die Mitarbeit an offener Software, die vielleicht seltener sind, aber durchaus vorkommen, sind z.B.

  1. Selbstdarstellung. Sichtbar sein in einer weltweiten Community als Privatperson oder Unternehmen z.B. um bekannt zu werden, für individuellen Ruhm oder die Entwicklung eines Netzwerkes.
  2. Die Entwicklungsrichtung der Software lenken. Man nutzt die offene Vorarbeit als Grundlage und setzt ein spezielles Feature darauf oder nutzt z.B. die offene Software als Zusatz-Feature für eigene Entwicklungen. (Hier können virale Lizenzen sehr wichtig sein, um Offenheit zu bewahren.)
  3. Spiel und Spaß. Menschen sind verschieden und haben an verschiedensten Dingen Spaß. Es kann Spaß machen, ein Office Programm zu entwickeln. Und man stelle sich einfach vor, ein Unternehmen investiert das beim Office Programm gesparte Geld in einen weiteren Mitarbeiter. Der, auf diese Weise ökonomisch abgesichert, kann in seiner Freizeit seinem Hobby nachgehen: eine offene Software mitzuentwickeln.
  4. Lernen. Learning by doing. Ein offene Community ist auch eine perfekte Lernumgebung. Man erhält Feedback, gerät in Austausch, Wissen wird geteilt und geschöpft.

Man kann sicher noch weitere Motive aufzählen. Eine vollständige Liste ist aber gar nicht notwendig. Denn entscheidend ist, dass heute nur eines dieser Motive einmal auftreten muss und schon ist die Software in der Welt – über das Internet ist sie direkt weltweit verfügbar. Eine zweite Person mit einem ebenso seltenen Motiv kann sie finden. Schon gibt es eine kleine Community, die die Grundlage für weitere Motive bildet. Das ist die Kraft des Netzes, es erlaubt Long-Tail-Effekte: Ideen, Dinge und Motive, die sehr selten sind, in winzigen Nischen stecken und so früher selten Umsetzung fanden, können jetzt über das Netz weltweit auftreten und ihre kritische Masse versammeln (2).  Darum gibt es heute so viele Dinge, die früher nicht möglich waren.

Und das bedeutet letztlich, dass echte Trittbrettfahrer (also Leute, die „nur benutzen“) ebenfalls als Kollaborateure betrachtet werden können. Sie verbreiten die Software weiter, erstellen Feedback dafür, testen sie, machen sie bekannter und helfen damit, dass Leute mit „seltenen“ Motiven auf die Software/Sache aufmerksam werden. Erfolg ist wichtig für  Erfolg. Trittbrettfahrer arbeiten mit am Erfolg.

Kooperation, Synergien & Standards für Stoffkreisläufe

„Kollaboration von Konkurrenten in Communities“ bedeutet also im Prinzip, dass man in gewisser Weise indirekt „über Bande“ an gemeinsamen Projekten arbeitet. Redundanzen werden dabei reduziert („das Rad muss nicht immer neu erfunden werden“), Synergien entstehen, die Kosten sinken und Arbeitskraft wird frei für anderes. Zugleich steigt die Kompatibilität bzw. Anschlussfähigkeit miteinander (man verwendet geteilte Standards wie z.B. Dateiformate), Kollaborationskosten können eingespart werden.

All diese Dinge dienen der Effektivitätssteigerung. Interessant ist nun aber, dass sie zugleich auch Eigenschaften bzw. Voraussetzungen von Stoffkreisläufen darstellen. Bietet Open Source für physische Produkte die Möglichkeit, Stoffkreisläufe zu bilden bzw. sie zu entwickeln und zu organisieren?

Die Grafiken und unser Beispiel oben beschäftigen sich mit Open Source Software. Der Term Open Source ist gegenwärtig noch vor allem mit Software verbunden, denn hier trat das, was damit beschrieben wird, zum ersten Mal auf. Software ist der natürlichste Verbreitungsinhalt des Internets. Es ist darum nicht verwunderlich, dass der Siegeszug des Open Source Entwicklungsmodells hier begonnen hat. Aber Open Source greift mehr und mehr auf Hardware, d.h. auf physische Produkte über. Open Source Hardware bedeutet, dass man zu physischen Produkten Informationen, z.B. ihre Baupläne, offen macht, sie publiziert. Jeder kann und darf die offenen Pläne studieren, kopieren, verbreiten, modifizieren und umsetzen. Die Vorteile des offenen Entwicklungsmodells sollen so auch für physische Produkte, d.h. für ihre Herstellung, Entwicklung und Verbreitung genutzt werden.

Hardware unterscheidet sich von Software natürlich in vielerlei Hinsicht und so bringt die Offenheit von Hardware auch ganz neue Fragen, Möglichkeiten und Effekte mit sich. Das Problem bzw. die Idee der Stoffkreisläufe ist dabei besonders interessant.

Stoffkreisläufe bzw. Kreislaufwirtschaften stehen für die Idee einer Wirtschaft ohne Müll. Die Produkte und Prozesse sind so gestaltet, dass alle darin verwendeten Materialien und Stoffe immer wieder zurück gewonnen und bei gleichbleibender Qualität neu eingesetzt werden können; sie sind regenerativ designt. Dinge, Prozesse und Design passen zueinander. Für ein solches Wirtschaften brauchen wir geteilte Standards und ganz neue Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen. „Offene Kollaboration in Communities“ (Open Source) vereinfacht gemeinsame Projekte, ermöglicht Synergien und führt zu gemeinsamen Standards und Anschlussfähigkeit füreinander. Genau die Dinge, die für die Realisierung von Stoffkreisläufen notwendig sind. Open Source scheint das für Stoffkreisläufe passende bzw. sie möglich machende Entwicklungs-, Kollaborations- & Wirtschaftsmodell zu sein.

Geschlossenheit ist ein Weg, um Diversität zu erhöhen. Offenheit kann an für eine Kreislaufwirtschaft entscheidenden Stellen zu Gleichheit und Zusammenarbeit führen. Eine ressourcenschonende und eine ressourcenrationalisierte Kreislaufwirtschaft und die dafür notwendige Kooperation scheint ohne Offenheit gar nicht möglich (3).

Open Source bedeutet Rationalisierungseffekte

Open Source bzw. das offene Entwicklungsmodell bedeutet Rationalisierung. Um wieder auf unser Beispiel zu kommen: Microsoft bezahlt Entwickler, außerdem einen ganzen Stamm von Leuten, die damit beschäftigt sind, das Programm geschlossen zu halten, es zu vermarkten, zu vertreiben usw. All diese Leute bezahlt der Kunde mit. Steigen die Kunden auf die offene Variante um, wird es für sie billiger, weil diese Kosten geringer sind.

Wir haben hier einen Rationalisierungseffekt. Das gleiche Problem kann durch neue Technologie oder Organisation besser und mit weniger Arbeit gelöst werden. Am Ende gibt es aber weniger Arbeit.

Rationalisierung ist kein Alleinstellungsmerkmal von Open Source. Die Automatisierung und ihr Fortschreiten wirkt in dieselbe Richtung. Und Rationalisierung ist grundsätzlich gut, denn sie bedeutet im Prinzip Steigerung von Wohlstand. Problematisch wird es nur dann, wenn wir für diesen Wohlstand kein geeignetes Verteilungssystem haben. Und wir erleben, wie wir gerade überall in so ein Verteilungsproblem hineingeraten. Die notwendige Diskussion darüber wird bereits geführt und in den nächsten Jahren noch bedeutender werden (einen Anschub hat er jüngst durch das aktuelle Buch von Constanze Kurz und Frank Rieger „Arbeitsfrei“ erhalten).

Es ist abzusehen, dass es wahrscheinlich gerade nicht die Unternehmen aus dem Markt gedrängt werden, die auf Open Source setzen. In unserem Beispiel sind es das geschlossene Modell (Microsoft) und die Entwickler, Marketer und Anwälte darin, welche unter Druck geraten. Unternehmen, die auf Offenheit setzen (z.B. Libre Office) und eventuell dafür Beiträge leisten (z.B. einen Programmierer abstellen) funktionieren besser im Zusammenspiel mit anderen und arbeiten billiger.

Denkt man nun an physische Produkte, kommt der Stoffkreislaufaspekt hinzu. Dieser verschärft das ganze noch einmal. Stoffkreisläufe können selbst als Rationalisierungsmaßnahme gesehen werden: Ressourcen und Materialien sind teuer und werden teurer. Sie schaffen zudem große Abhängigkeiten von wenigen Quellen. Stoffkreisläufe können hier einen interessanten Ausweg bieten; sie können der Vorteil des offenen Konkurrenten gegenüber dem geschlossenen sein.

Stoffkreisläufe sind ein hartes, ökonomisch rationales Motiv für Offenheit. Wir können es unserer Liste von Motiven für Open Source Beiträge oben hinzufügen, wenn wir über physische Produkte reden.

 dank fürs lektorat an lisa.c

FUßNOTEN

(1)    Für den genauen Werdegang von Open Office und Libre Office nachzulesen, sei der ausführliche Abschnitt „Geschichte“ im Wikipedia Artikel zu „Libre Office“ empfohlen. Der Vortrag „Die Document Foundation – 18 Monate danach“ gibt weitere Details. Open Office hatte vor seiner Aufspaltung einen Marktanteil von 20%, eine Vielzahl großer Unternehmen haben es eingesetzt. Libre Office ist auf dem Weg, dieses Ziel wieder zu erreichen.
(2)    Wer sich interessiert für den Zusammenhang von Internet und Kollaboration, dem sei Clay Shirkys brillanter TED Talk von 2005 „Institutions vs. Collaboration“ empfohlen.
(3)    Diese Frage wird im OWi Projekt schon länger bearbeitet. Open Source für Stoffkreisläufe. OWi ist dabei kein „Weltverbesserungsprojekt“, sondern ein Rationalisierungsprojekt. Dieser Text ist entstanden vorm Hintergrund des OWi Projektes.