„Open-Source-Circular-Design ist unfassbar hässlich!“ – Ein Briefwechsel zwischen André Wendler und Lars Zimmermann

(–,de)

UPDATE: Dieser Beitrag ist auch in Buchform erschienen. Das Buch heißt: Die Welt reparieren – Open Source und Selbermachen als postkapitalistische Praxis und ist im Transcript Verlag erschienen. Das Buch ist Open Access – d.h. man kann es frei herunterladen. Neben unserem Artikel sind noch viele andere Artikel z.B. von Michel Bauwens und Neil Gershenfeld (dem Erfinder der Fablabs) im Buch enthalten. Unseren Artikel kann man natürlich auch weiterhin direkt hier im Blog lesen. ->

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Original-Artikel:

Ich entwickele eine Lampe bzw. Lampen mit Mifactori. Die Lampen sind Open Source und zirkulär. Und daraus resultiert in ein spezielles Aussehen. Und das ist unfassbar hässlich bzw. die ganze Lampe überhaupt völlig blödsinnig.

Das sagt zumindest wer, den ich aus meiner Studienzeit (medien- und kulturwissenschaftliches Studium) kenne und der jetzt hauptberuflich medienkulturwissenschaftlich forscht. Sehr schlauer Mensch, von gutem Geschmack und mit Stil: André Wendler. Ich bin mit André auf Facebook befreundet, wo ich Bilder meiner Lampe gepostet habe, unter denen André kurzerhand einen Kommentar hinterlassen hat:

„Warum braucht die Welt eine Lampe, die so unfassbar hässlich ist, dass man fast schon lachen muss?“

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Ein paar Wochen später habe ich eine zweite Lampe entwickelt nach den Prinzipien der ersten aber mit dem Ziel, etwas designkonformer zu sein. Die habe ich auch gepostet und Andrè gepingt (gefragt); ich wollte wissen, ob er die schon besser findet und Hoffnung besteht. Die Antwort war:

„Nicht wirklich. Ich könnte ein ganzes Buch darüber schreiben, warum ich das für Blödsinn halte.“

Das wollte ich unbedingt genauer wissen, denn, wie schon gesagt, André ist schlau und gebildet, und habe ihn gefragt, ob er das nicht mal kurz umreißen könnte.

„…sollte dir die Hässlichkeit der Lampe genug Leidenschaft abringen können, dann tipp doch mal ganz ohne Form zwei drei Argumente runter, warum „das Blödsinn ist“.“

Darauf hin hat er mir einen kleinen Text geschickt aus dem sich ein Dialog bzw. „Briefwechsel“ entwickelt hat, den ich hier mit seiner Erlaubnis wiedergeben darf. Wem das Ganze zu lang ist, dem empfehle ich auf jeden Fall unbedingt, wenigstens Andrés ersten Text zu lesen. Aber danach geht es auch interessant weiter.

Viel Spaß

A N D R É _ 1

Open Source Design

Hey Lars, danke für Deine Nachricht. Ich sollte vielleicht dazu sagen, dass ich der ganzen Open Source Bastelei kritisch gegenüber stehe. Das gilt z.B. auch für Projekte wie Modulare Smartphones usw. Der Hauptgrund liegt darin, dass ich sie als Teil der allgemeinen rückwärtsgewandten und fortschrittsfeindlichen Ökobewegung sehe, die versucht, sich in eine vorindustrielle Idylle zurück zu basteln, die im Gegensatz zu allen Produktionsbedingungen steht, die unser Leben zu dem machen, was es ist. Was meine ich damit?

Sowohl auf dem Gebiet der im engeren Sinn technischen Entwicklungen als auch im Design hat es von jeher eine starke Spezialisierung gegeben. Die traditionellen Handwerke sind das beste Beispiel dafür. Dort wird eine große Expertise im Umgang mit spezifischen Materialien, der Ergonomie ihres Gebrauchs und der Weiterentwicklung ihrer Technologie gepflegt. Die Vorstellung, dass nun nicht mehr der Tischler Holz- und der Spengler Metallarbeiten ausführt, sondern dass man all dieses Gewerke selbst übernimmt, ist abstrus. Die großartigen Beispiele des Produktdesigns kommen eben gerade daher, wo es eine Beherrschung von Material und Technik gibt. Ob man an die gelungene Glasverarbeitung der berühmten Bauhauslampe denkt oder an die Fähigkeiten, die man braucht, um diese [[[LINK]]] Lampe herzustellen, sei dahin gestellt. Diese Objekte zeichnen sich aber dadurch aus, dass ihre Materialien und ihr Design untrennbar miteinander verbunden sind und sie damit auch die Tendenz ausbilden, alternativlos zu werden. Ich kann eben bei Apple Laptops den gefrästen Aluminium-Body nicht durch Plastik oder Holz ersetzen, weil seine optischen, statischen und technischen Eigenschaften untrennbar mit dem Aluminium als Material und seiner spezifischen Verarbeitung verbunden sind. Gilbert Simondon nennt solche technischen Objekte »konkrete Objekte«, weil in ihnen mehrere Funktionen konkretisiert sind. Man kann überall, vom Automobilbau bis zur Betonarchitektur zeigen, dass die beispielhaften und herausgehobenen Objekte eben solche konkreten Objekte sind. Technische Dinge, die aus unabhängigen und modularen Einzelteilen zusammen gesetzt sind, die man mehr oder weniger nach Belieben austauschen kann (weißer Stein/schwarzer Stein, Lochbleche aus Holz, Metall oder Kunststoff), sind eben deshalb »schlechtes« Design, weil es keine notwendige Verbindung zwischen ihrem Material und ihrer Funktion gibt. Form does not follow function.

Man kann nun natürlich jederzeit sich gegen ein so traditionelles Designprinzip aussprechen aber dann muss man auch erklären, warum man das tut und welche Vorzüge es mit sich bringen soll. Konkret auf Lampen: im Moment sehen wir überall die Integration von LED-Leuchtkörpern. Dabei werden diese oft nicht mehr als traditionelle austauschbare Glühlampen ausgeführt, sondern direkt in die Lampe integriert. Damit werden plötzlich Lampendesigns möglich, die vorher undenkbar waren. Man kann die Leuchtkörper darin nicht mehr austauschen. Aber warum sollte man das auch? LEDs gehen praktisch nicht kaputt, leuchten zehntausende von Stunden und werden wahrscheinlich auch dann noch funktionieren, wenn man die Lampe aus ganz anderen Gründen nicht mehr benutzen will. Bedeutet das eine Unfreiheit für die Nutzer? Nein, ganz im Gegenteil. Die Freiheit der Gestaltung wird gesteigert, Lampendesigner können nun Dinge entwerfen und auf Räume anpassen, von denen vorher nur zu träumen war und der Betrieb ist überall energiesparender möglich.

Deine Lampe macht meiner Meinung nach das Gegenteil: sie trivialisiert mit zwei Konsequenzen. Die »Vereinfachung« der Lampenhalterung bzw. des Gestells (wie nennt man das?) bewirkt, dass es aussieht, als sei es von Dreijährigen im Kindergarten zusammengebastelt worden und entbehrt jeder Liebe zu schönen oder interessanten Materialien. Dieser ästhetisch Verlust wird aber überhaupt nicht funktional aufgewogen. Kann ich irgendetwas mit dieser Lampe machen, was ich mit einer ganz gewöhnlichen industriell gefertigten und im Stück verkauften nicht tun kann? Ich kann sie auseinander bauen aber warum würde ich das tun wollen?

Die angebliche Offenheit des Designs nimmt dann ganz stillschweigend in Kauf, dass das eigentliche funktionale Herzstück der Lampe (Kabel, Schalter, Fassung) aber ein ganz vulgäres und gewöhnliches Massenprodukt ist, gegen das nichts einzuwenden ist, weil es offenbar funktional genug ist um millionenfach produziert zu werden, an dem es aber auch nichts gibt, das einen zweiten designorientierten Blick irgendwie erfreuen könnte.

Wenn ich es mal ganz böse ausdrücken dürfte, sind solche Produkte für mich die Neuerfindung des Rades, nur noch einmal in schlecht. Es gibt keinerlei Vorzüge in der Ästhetik, der Funktionalität, die Kosten sind offenbar lächerlich hoch. Wenn man etwas neu entwirft, das in unserer Welt eine so unkomplizierte und gut integrierte Funktion wie eine Schreibtischlampe erfüllt, dann muss dieses Ding aus jeder Pore schreien: »Ich bin besser, schöner, funktionaler, günstiger, lustiger.« Von Lampen wie Deiner höre ich das leider nicht.

Die Antwort auf das alles wird vermutlich lauten: aber das ist doch Open Source, Power to the People, solches Design erzieht die Leute zu einem Verständnis über die Welt in der sie leben und erlaubt ihnen, sie dann nach ihren eigenen Bedürfnissen zu gestalten. All diese Versprechen der Open Whatever Bewegungen halte ich für erstens falsch und zweitens mit einem weitgehenden Unverständnis darüber ausgestattet, auf welchen technisch-ökonomischen Bedingungen unsere Kultur beruht. Das Prinzip, das uns dahin gebracht hat, wo wir sind, heißt Arbeitsteilung. Die hat es offenbar seit dem primitivsten Gesellschaftsformen gegeben. Es stimmt: kaum jemand könnte das Funktionsprinzip seines oder ihres Smartphone Touch Displays beschreiben, niemand weiß so ganz genau, wie die Daten eigentlich durch das Internet zirkulieren und wie genau fährt eigentlich mein Hybrid-Auto? Ist das ein Problem? Nein. Kein einzelner Mensch könnte all diese Dinge jemals vollkommen durchdringen. Es gibt sie nur, weil einzelne Leute ihre ganze Arbeitskraft darein setzen, ein winziges technisches Detail irgendwo zu lösen. Und sie tun das stellvertretend für alle anderen. Ich kann dann den Computer, das Auto oder die Glühbirne benutzen und von ihnen profitieren, ohne dass ich wissen muss, wie sie eigentlich genau funktionieren. Es reicht, dass sie funktionieren und dass ich sie kaufen kann. Wer Open Design fordert, fordert damit wenigstens implizit, dass wir all diese verteilten Prozesse wieder verallgemeinern, dass jeder sich um alle diese Dinge kümmern soll. Und das wäre der direkte Weg in die Steinzeit. Ich kann nur halbwegs kluge medienwissenschaftliche Texte auf meinem Rechner tippen, weil ich eben gerade nicht weiß, wie er genau funktioniert.

Ein weiteres Problem: man kann die Schwelle des Unwissens über die technischen Objekte absenken und wie mit Deiner Lampe sagen: jetzt machen wir uns nochmal Gedanken, wie so ein Standfuß und so eine Halterung funktioniert und wie sie zusammengesetzt ist etc. Darunter allerdings tut sich wieder eine ganze Welt von Blackboxes und technischen Objekten auf, die wir nicht verstehen können: wie stellt man eigentlich Stahlschrauben her, wie schließt man so eine Lampe an den Strom an, so dass man sie sicher bedienen kann ohne Angst vor einem Stromschlag zu bekommen? Ich weiß es nicht und Du weißt es auch nicht und wir müssen es auch nicht wissen.

Die Öffnung des Designs ist eine Chimäre, die Freiheit um den Preis suggeriert, das man systematisch an der Funktionsweise arbeitsteilig hergestellter technischer Objekte vorbeischaut und sich einredet, man könnte einen hundertausendjährigen Evolutionsprozess umkehren, auf dessen Schaumkrone man doch so bequem surft. Genau der Prozess, von dem man sich emanzipieren will, macht doch die Emanzipation erst möglich und ich kann nicht verstehen, warum man sich diesen lang gewachsenen Ast direkt unter dem Arsch absägen will.

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L A R S _ 1

Hi André, vielen Dank für Deine großartige Kritik! Ich versuch mal eine Entgegnung ohne alles aufheben zu können oder zu wollen.

1. OPEN SOURCE IST NICHT GLEICH DIY!

Leider höre ich das immer wieder. Ich sage „Open Source“. Menschen hören „DIY“. Aber das ist eine völlig abstruse Idee. Und entspricht auch gar nicht der Realität. Open-Source-Software wird von hochgradig spezialisierten Software-Ingenieuren geschrieben. Niemand käme auf die Idee, wir alle sollten nun unseren Linux-Kernel selbst programmieren oder unseren Firefox-Browser oder unsere Apache-WebServer. Open Source ist hier eine Methode der Kollaboration und Kommunikation zwischen Profis.

Eine Schraubenfabrik ist eine komplexe Angelegenheit. Ein Teilchenbeschleuniger wie das CERN wohl noch komplexer. Aber warum sollte man beides nicht offen dokumentieren, so dass andere, die auch einen Teilchenbeschleuniger bauen wollen, dieses Wissen nutzen können und mit den anderen Teams sich darüber austauschen können. Ja, und nebenbei kann auch ein „Laie“ sich die Pläne angucken. Dieser Aspekt wird aber meist überbetont. Er ist zwar wichtig. Wichtiger aber ist die Kommunikation zwischen Unternehmen und Profis.

2. PRODUKTE ALS FENSTER IN DIE PRODUKTION

Im Zuge der Diskussionen um Fablabs und Makerspaces hört man oft die Behauptung, damit kehre die Produktion in die Stadt zurück. Das halte ich für völligen Quark. Menschen, an deren Expertise ich glaube, sagen mir, dass die Technik eines heutigen Fablabs mindestens 20 Jahre hinterher ist im Vergleich zu der in aktuellen Fabriken. Fabriken, wie du es ja so wunderbar sagst, sind hochspezialisiert. Und diese Spezialisierung erlaubt es uns, in dem Wohlstand zu leben, indem wir leben.

Trotzdem werden Fablabs (Orte an denen man Hardware entwickelt und auch produziert) vielleicht einmal wichtig, um Menschen wenigstens halbwegs in Verbindung zu halten, mit Fabriken und dem, was darin vorgeht, da draußen vor der Stadt. Ich denke, dass siehst du anders. Du schreibst ja schon:

„Die Antwort auf das alles wird vermutlich lauten: aber das ist doch Open Source, Power to the People, solches Design erzieht die Leute zu einem Verständnis über die Welt in der sie leben (…) All diese Versprechen (…) halte ich für erstens falsch und zweitens mit einem weitgehenden Unverständnis darüber ausgestattet, auf welchen technisch-ökonomischen Bedingungen unsere Kultur beruht.“

Guter Punkt, natürlich! Die Antwort darauf lautet aber: Natürlich geht Open Source von einem Kulturwandel aus, stiftet ihn an, bzw. fragt zumindest danach. Und sucht nach Ansatzpunkten dafür. Und damit ist kein Kulturwandel gemeint ala MadMax und wir machen alles primitiv wieder selbst und rauf auf den Baum, sondern die Suche nach neuen Regeln mit denen komplexe Produktionsorte wie Fabriken vor der Stadt und Wissensorte wie z.B. Fablabs in der Stadt anders miteinander zusammenspielen können.

3. CIRCULAR ECONOMY

Mich persönlich interessiert diese ganze Open-Source-Sache ja hauptsächlich in Verbindung oder als Treiber für Kreislaufwirtschaft. Ich weiß nicht, wie du dieser Ideenwelt gegenüberstehst. Aber nehmen wir mal kurz an, die Erde ist endlich und Ressourcen sind es auch und wir verbrauchen zu viel davon im Moment. Dann wäre es doch eine gute Idee, alles einmal neu zu gestalten, und zwar so, dass kein finaler Müll mehr entsteht, sondern alles so gemacht und organisiert ist, dass man die Ressourcen aus den Produkten vollständig wiedergewinnen kann, für neue Produkte.

Das wäre aber die Frage nach einer ziemlich tiefgreifenden Umordnung unserer technisch-ökonomischen Welt.

Circular Economy heißt dabei nicht unbedingt, „den Gürtel enger schnallen“, selber Gärtnern gehen und mit Pedalkraft den eigenen Mixer betreiben. Ökoquark. Es gibt „Circular Economy“ Vertreter, die sagen, dann kann es mit dem Konsum und der Verschwendung erst richtig losgehen. Bloß halt dann nachhaltig und gesund. Circular Economy ist keine Verzichtsidee oder Rückwärtswendung.

Viele Design-Prinzipien dieser Circular-Economy-Ideenwelt stehen aber tatsächlich im Widerspruch oder zumindest in Spannung zu hochspezialisiertem und individualisiertem Design, wie du es beschreibst – Design mit perfekter und einzigartiger Material-Form-Funktions-Kombination. Wenn die Sachen dadurch schwer reparierbar, schwer auseinanderzunehmen, schwer neu nutzbar und wegen all dem vielleicht auch noch schwer recycelbar sind, ist nix mit Circular Economy. Die Circular Economy braucht also etwas anderes Design und darüber hinaus neue Wegen, wie so gestaltete Produkte zwischen Produzenten, Verkäufern und Nutzern zirkulieren.

Eine Design-Challenge! Heute ziemlich am Anfang.

Ich mag das als Herausforderung. Und ich mag vor allem, dass diese Herausforderung plötzlich lösbar(er) erscheint, kombiniert man sie mit dem Open-Source-Modell. Ohne Transparenz und offenen Zugriff auf Baupläne scheint das alles nur schwer möglich.

4. MACGYVERISATION

Du hast diesen Punkt zwar eigentlich schon abgeschmettert, ich will ihn aber trotzdem nochmal machen. Ich mag als „Langzeit-Vision“ die Idee der „MacGyverisation“. MacGyver ist dieser geniale Hacker, der in allem, was ihn umgibt, tausende Möglichkeiten der Neukombiniation sieht und diese aktivieren kann und auch aktiviert, und damit immer sein Leben (! J) rettet.

In einer Welt, in der alles zirkulär designt ist – also von vornherein als Ausgangsstoff für beliebiges Neues verfügbar – und ich für alles auch nachschauen kann, wie man das macht – weil Open Source – könnten wir alle selbst täglich zu MacGyver werden – meinetwegen Augmented-Reality-gestützt, durch Smartphones oder was auch immer.

Wie würden dann die Produkte aussehen? Wie würden sie mit mir kommunizieren? Was würden sie mir über MICH erzählen. Es wären ja Produkte, die mich als potentiell aktiven Mitgestalter meiner Umwelt ansprechen, zumindest mir die Straße dahin offenhalten.

Die durchkomponierten schönen Designs, die du beschreibst, die „konkreten Objekte“, laden mich ein, sie „passiv“ zu bewundern, anzuglotzen oder anzubeten, oder – weniger polemisch – mich einfach nur daran zu „freuen“. MacGyverisation-Produkte aber sprechen mich noch auf einer anderen Ebene an.

Ob ich das auch tatsächlich eingreife und mitgestalte, ist dabei zweitrangig. Ich persönlich z.B. hab da kaum Interesse dran. Ich koche ja nicht mal – was für ne blöde Beschäftigung (für mich)! Aber ich finde die – zugegebenerweise stark philosophische – Idee interessant, umgeben zu sein von Produkten, die mich als potentiellen Umgestalter ansprechen. Produkte die mich ernst nehmen und adressieren als Mitmacher. Vielleicht ergibt sich daraus eine völlig neue Ästhetik die sogar noch schöner ist, ein noch besseres Erlebnis bietet, als es die perfekt durchgestylten Produkte tun.

Das ist erstmal eine Suche. Ob das geht und wie das geht.

Und eine der Fragen auf dem Weg dahin ist: Können Produkte so sein und trotzdem noch schön, ein bisschen so wie die „konkreten Objekte“?

Auf die Suche macht sich die Lampe. Sie ist auf dem Weg zu „schön“ zugegeben noch nicht weit gekommen. Aber ich arbeite daran. Dafür ist der Openness und Circular Economy Teil wenigstens schon abgehakt.

ZUM SCHLUSS

Zum Abschluss … entschuldige meine Ausführlichkeit:

Oben stehen vier Punkte. Im nicht ganz widerspruchsfreien Spannungsfeld dazwischen ist die Lampe angesiedelt. Und versucht etwas rauszufinden.

Es ist völlig klar, dass der Ziegel aus einer Ziegelbrennerei und die Schrauben aus einer Fabrik und die Holzteile aus einer Spielzeugfabrik kommen. All diese Teile könnte man mit mittlerem Aufwand hier sogar selbst herstellen. Sind sie aber gerade nicht! Die hochspezialisierten Fabriken sind wichtig als Lieferanten bzw. für die günstige Produktion wiederverwendbarer Bauteile.

Ich weiß gar nicht, ob du das jetzt auch so sehen würdest: Unterm Strich ist die Lampe ganz anders gemeint, als du sie empfangen hast. Darum find ich unseren Dialog so gut.

Naja, noch einmal Danke bis hierher dafür bis hierher.

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A N D R É _ 2

Hallo Lars,

hier die Antwort auf die Antwort.

1. OPEN SOURCE IST NICHT GLEICH DIY

Das leuchtet mir vollkommen ein und das war mir so auch nicht ganz klar, weil es da wohl auch manchmal auf der Seite von Leuten, die für das eine oder andere eintreten, Vermischungen gibt. Wahrscheinlich kommt mein Eindruck hier auch noch aus einer Zeit, in der ich ziemlich viele Mediensystemler aus Weimar kannte, die die Augen jedes mal verdrehten, wenn man einen Rechner öffnete und das Kernel des darauf befindlichen Betriebssystems eben nicht selbst kompiliert hatte.

2. PRODUKTE ALS FENSTER IN DIE PRODUKTION

Dazu kann ich mich eigentlich wirklich nur wiederholen. Ich denke, dass wir mittlerweile von Objekten so komplexer Technologie umgeben sind, dass dieser Ansatz zunehmend obsolet wird. Dass ich meinem Opa in seiner Kellerwerkstatt noch dabei zugesehen habe, wie er so ungefähr alles, was man aus Holz bauen konnte, gebaut hat, hat nichts damit zu tun, was in den scheinbar einfachsten elektronischen Geräten vor sich geht. Ich habe heute einen Artikel über das Innenleben eines gewöhnlichen Apple Netzteils gelesen, der fast unglaublich ist. Da sind Mikrocontroller drin und hochkomplexe Bauteile, bei denen man auch mit einigermaßen ausgereiften physikalischen Kenntnissen über Elektrizität schnell aussteigen kann.

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Teardown from Ken Shirriff’s Blog.

Ich habe halt ein bisschen den Verdacht, dass sich hinter dieser ganzen Fablab-Welle ein bisschen die nostalgische Vision verbirgt, man könnte die technische Welt noch in einem Blick überschauen; das muss allerdings eine Illusion bleiben. Die Frage bliebe dann natürlich, wie man über diese technische Welt sprechen kann und was man von ihr wissen soll und vielleicht sogar muss. Darauf habe ich keine einfache Antwort.

3. CIRCULAR ECONOMY

Ich kenne aus diesem Bereich nur das Cradle-to-Cradle-Prinzip und bin mir nicht so ganz sicher, inwiefern das nach Open Source verlangt. Mich hat da immer ein Beispiel fasziniert: beim Laufen verlieren Schuhe durch Reibung mit dem Gehweg mit der Zeit Material und das ist im Prinzip ein Problem, weil dadurch Kunststoffe in die Umwelt gelangen, die sich am Ende wieder irgendwo anreichern, und sei es in den Lebern von Meeresfischen. Deshalb, so ein Vorschlag, müsste man diese Produkte so designen, dass die abreibenden Teile aus kompostierbaren bzw. biologisch abbaubaren Materialien bestehen, so dass deren Verteilung in der Umwelt keinen negativen Effekt auf diese hat. Der Rest aber müsste dann so gemacht sein, dass man ihn leicht wieder auseinander nehmen kann um ihn zu recyclen oder noch besser: up zu cyceln. (OMG. Denglish Galore) Ich hab das Gefühl, dass ein Schuh, der genau das könnte, ein hochspezialisiertes Produkt wäre, weil das schon extreme Anforderungen an das Material sind und es müsste ja auch eine ganze Produktions- und Recycling-Infrastruktur dahinter stehen. Und auch da würde ich wieder sagen: liebe Industrie, liebe Produktdesigner, macht Eure Arbeit, designt solche Produkte mit den notwendigen Infrastrukturen und ich werde sie kaufen. Wie das aber genau funktioniert, interessiert mich eigentlich nicht. Wenn das Produkt intelligent genug ist, dann brauche ich auch nichts darüber wissen, weil dann nämlich die Trennung der schädlichen von den umweltverträglichen Stoffen »von selbst« funktioniert.

4. MACGYVERISATION

(Auch ein sehr schöner Begriff.) Da liegen wir wohl am meisten über quer. Genau das interessiert mich kein bisschen. Eher im Gegenteil: diese Welt ist ein Horror für mich. Ich empfinde es als große Entlastung, wenn mir jemand ein gut funktionierendes, schönes Produkt vor die Nase stellt. Ein Produkt, das mich ernst nimmt, sagt mir ganz genau, was es von mir will: wo ich es anfassen soll, wie sein Verschluss funktioniert, welche Taste ich zum Einschalten drücken muss. Wenn ich das verändern kann, dann ist das Produkt für mich zu kompliziert und hat seinen Zweck nicht im Griff. Da hab ich dann meistens wenig Lust zum kommunizieren.

Immer wieder sehe ich Leute, die sich vor allem im Digitalen Workflows selbst zusammen basteln, weil ihnen irgend etwas an den Workflows, die ihnen Apps und Programme der Industrie anbieten, nicht gefällt. Meistens sind diese Workflows für Außenstehende unverständlich, kompliziert und auch nicht reproduzierbar. Mir sagt das wahnsinnig viel über eine Person: vor allem, dass sie offenbar nicht mit mir zusammenarbeiten will, weil sie die standardisierten Workflows nicht benutzen will, die damit natürlich ein Stück weit geschlossen sind und nicht mehr ganz zur Disposition stehen.

Es ist lustig: überall da, wo Du eine Möglichkeit siehst, sehe ich eine unerwünschte Komplikation und da, wo ich ein gelöstes Problem sehe, siehst Du eine Handlungsoption weniger.

So long,

André

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L A R S _ 2

Hi André, vielen Dank für Antwort Nummer 2. Ich hab auch noch eine Entgegnung. Da 1. „OPEN SOURCE IST NICHT DIY“ ja abgehakt ist (btw. Sam Muirhead hat dazu neulich auch einen wunderbaren Text geschrieben) direkt zu Nr. 2:

2. PRODUKTE ALS FENSTER IN DIE PRODUKTION

Vielleicht ist das tatsächlich die Frage, ob alle Produkte immer so komplex sein müssen, dass man sie nicht weiter durchdringen kann als bis zu ihrer bloßen Benutzung.

Wenn wir umgeben wären von Gegenständen, die uns erklären wie sie gemacht sind, die zumindest „googlebar“ wären bis auf den Bauplan, ist der Lernabstand schon mal nicht so groß. Eine oder zwei Sachen würde man schon mal googeln denke ich, einfach so.

Und natürlich ist es eine Designherausforderung, die Gegenstände dann auch so zu machen, dass sie ihrer Googelbarkeit entgegen kommen. Das sich die Möglichkeiten, die sich damit theoretisch ergeben, auch einlösen lassen.

Das geläufige Schlagwort ist „Simplexity“. Große Ingenieurskunst ist es manchmal, Dinge, die einmal sehr kompliziert waren, plötzlich viel einfacher hinzubekommen. Von solchen Beispielen hört man immer wieder – nur 3 anstatt 10 Materialien eingesetzt, nur 3 anstatt 12 Teile notwendig usw. Mit einem hohen Grad an Spezialisierung kann man vielleicht Dinge auf eine Ebene heben, auf der sie für Laien anschlussfähig werden, zumindest in Teilen.

Und gerade wenn man das zusammenbringt mit zirkulärem Produktdesign: Wo der schöne Stuhl vor meiner Nase eben nicht genietet oder geklebt ist, sondern verschraubt oder gar gesteckt, damit er leichter auseinandernehmbar und damit leichter zu recyceln ist; wo also technische Hürden gesenkt werden, – da wird das interessant. Leicht auseinandernehmbar und wirklich recycelbar, könnte eben auch heißen müssen, leichter zu verstehen von außen. Zumindest für einige unserer Produkte.

Das ist, wie gesagt, eine Design Herausforderung bzw. eine Frage für das Produktdesign der Zukunft.

(Nebenbei: Die meisten Menschen, die ich in Fablabs getroffen habe, erschienen mir eher nicht als rückwärtsgewandte Nostalgiker, sondern als Leute, die Lust hatten, mit Technologie zu spielen, sich darüber auszutauschen und technisch Neues zu machen.)

3. CIRCULAR ECONOMY

Und um alles abzurunden: Muss Cradle to Cradle Open Source sein, um zu funktionieren?

Das ist ja genau die Frage, die wir mit den Open Source Circular Economy Days vor uns hertragen. Und einer der Gründe, den wir immer nennen, ist genau das Problem der für eine Kreislaufwirtschaft notwendigen Infrastrukturen. Wo sollen die herkommen und wie sollen die funktionieren? Ist es realistisch vorstellbar, dass man diese technisch-ökonomischen Strukturen überhaupt hinbekommen kann ohne Open Source.

Dein schönes Schuhbeispiel handelt zum Teil von biologisch abbaubaren Materialien. Da könnte das vielleicht wirklich egal sein ob open or closed. Aber der restliche Schuh besteht aus technischen Materialien also Materialien, die in einer Fabrik mit speziellen Prozessen zurückgewonnen werden müssen. Dann lautet die Frage: Wie kommt der Schuh in die richtige Fabrik bzw. zum richtigen Prozess?

Ich erzähle oft, dass ich mal einen Vortrag von einem Cradle-to-Cradle-Unternehmer gesehen habe, der C2C-Schlüpfer herstellt. Die Schlüpfer sind aus einem technischen Material also nicht biologisch abbaubar sondern brauchen eine Fabrik fürs Recycling. Und er sagte tatsächlich, man könne den Schlüpfer, wenn man ihn nicht mehr braucht, in einen Umschlag stecken und zurück in seine Fabrik schicken! Die wüssten da, wie man das Material zurückgewinnt und neu einsetzt.

Wenn ich das auf meinen Vorträgen erzähle, dann lachen 50% der Leute. Klar. Das ist schon ein absurdes Bild! Irgendeine Studie meinte mal, herausgefunden zu haben, dass der durchschnittliche Mensch 10 000 Gegenstände zu Hause hat (inkl. aller Reißzwecken, Nähnadeln usw.). Sollen wir die alle immer jeweils zurückschicken, in Umschlägen, adressiert an ihre Herkunftsfabriken? Wir leben in einer globalisierten Welt. Vielleicht kaufe ich eine Unterhose in Indien, trage sie in Belgien und werfe sie weg in Togo. Außerdem: Ich besitze eine größere Zahl Unterhosen, einige davon schon wirklich sehr sehr lange. Keine Ahnung wo die herkommen! Unterhosen sind noch aus einem anderen Grund ein gutes Beispiel: Vielen Leuten ist die Vorstellung, ihre privaten alten Schlüpfer irgendwohin zu schicken, eher unangenehm. Wir haben hier also auch noch eine soziale Verweigerung. Die Umschlagstory ist also eine völlig absurde Infrastrukturidee.

Nein, wenn sich das Cradle-to-Cradle-Versprechen mit dem Schlüpfer wirklich einlösen soll, müssten sie bzw. das Material darin und seine kreislaufgerechte Auf- und Verarbeitung Open Source sein. Denn das hieße dann, dass da, wo der Schlüpfer als Müll anfiele, die Leute schnell und einfach herausbekommen können, welches Material es ist und wie man es technisch richtig wieder zurückgewinnen und neu einsetzen kann. Und das sollte ihnen rechtlich auch erlaubt sein – also kein patentiertes Material.

Es wäre also klug, von vornherein ein Open-Source-Material einzusetzen. Wenn das frei verfügbar wäre, würde es vielleicht auch öfter eingesetzt und fiele dann häufiger als Müll an. Niemand würde eine einzelne Unterhose recyceln.

Und fürs Kreislaufversprechen wäre es wohl noch besser, man verwendete ein Material, welches mit technisch geringem Aufwand zu recyceln ist, ohne komplexe und teure Maschinen und komplizierte Prozesse, die Hochspezialisierung erfordern. Das würde die Wahrscheinlichkeit, dass auch tatsächlich richtig recycelt wird, erhöhen. Kleine Startups mit wenig Kapital könnten so z.B. Geschäftsmodelle entwickeln, lokal – es könnten frei und dezentral die Infrastrukturen für die Kreislaufwirtschaft entstehen und wachsen und sich verzweigen.

Für Kreislaufwirtschaft in einer komplexen Welt ist Dezentralität vermutlich das Schlagwort! Und dezentrale Kollaboration und Kommunikation ist genau die Stärke von Open Source.

Die Alternative zur Dezentralität und Open Source wäre, dass nur noch einige sehr sehr wenige globale Megakonzerne existieren, deren Hand in jede Ecke reicht – in jede Mülltonne oder Sammelstelle auf der Welt. Und intransparent und durch Patente geschützt ihn in ihren überall auf der Welt standardisierten Anlagen neu aufbereiten.

Ich weiß hier an dieser Stelle nicht, welche der beiden Lösungen technisch-ökonomisch realistischer ist. Und es wäre bestimmt interessant, mal eine Diskussionsrunde mit echten Oponnenten zusammenzubringen zur Frage, welche wünschenswerter ist.

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Ist das jetzt alles schon zu weit weg von der Hässlichkeit meiner Lampe? Nein. Denn die Lampe hat auf jeden Fall das: die leichte dezentrale Wiederverwendbarkeit aller Teile (und die leichte Recycelbarkeit fast aller Teile).

Nur darum sieht sie so aus, wie sie aussieht, erstmal.

4. MC GYVERISATION

Das ist ja jetzt eigentlich in Punkt 2 mit „Simplexity“ eigentlich schon beantwortet.

Aber noch mal zur Abrundung: Die Frage wäre, kann man die Produkte nicht so gestalten, dass sie beide Perspektiven zugleich bedienen – die „bequeme Benutzerseite“ und die „potentielle Hackerseite“? Müssen sich die beiden Blickwinkel ausschließen?

Und müssen wir vielleicht dahin kommen im Interesse der Entwicklung einer Kreislaufwirtschaft und der dafür notwendigen Infrastrukturen?

Und ist das nicht vielleicht die interessantere Designherausforderung heute anstatt immer weiter hochzuklettern auf der Leiter: »Ich bin besser, schöner, funktionaler, günstiger, lustiger.«

Das finde ich spannend. Vielleicht geht das ja wirklich nicht. Aber Fortschritt ist ja nicht von außen determiniert, sondern durch das, was wir versuchen. Die Mifactori Lampe ist so ein Versuch.

Update: Die Reise geht weiter. Im Herbst 2018 sind neue Lampen herausgekommen. Ist das Design schon besser? : – )

haesslich