Probleme mit dem „Zentrum für politische Schönheit“ bzw. dem „Diktaturzentrum“

(Juni 2016; Update: November 2017, Dezember 2018)

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Ich war gestern im Maxim Gorki Theater in Berlin im Salon des Zentrums für politische Schönheit. Den Salon gibt es gerade täglich anlässlich der Aktion „Flüchtlinge Fressen – Not und Spiele“ des Zentrums. Von Anfang an fand ich die Arbeit und Aktionen der Gruppe problematisch. Ich konnte aber nie den Finger darauf legen oder gut formulieren, wo das Problem genau liegt. Es gab nur ein tiefsitzendes Unwohlsein und eine starke Abneigung. Gestern aber war nun im Salon der brillante Joseph Vogl zu Gast. Der kann das bestimmt gut formulieren oder dabei helfen, dachte ich. Und er hat nicht enttäuscht. Ich gebe jetzt hier nicht Joseph Vogls Ideen wieder, sondern meine eigenen, die ich auf dem Heimweg endlich greifen konnte, nachdem ich Joseph Vogl eine Weile zugehört habe und dabei selbst weiter nachdachte.

Das Hauptproblem lässt sich direkt schon aus dem Namen beschreiben: Zentrum für „politische Schönheit“. „Politische Schönheit“ ist ein Widerspruch, zumindest für mich:

Schönheit ist in der Hauptsache subjektiv. Man kann niemanden zwingen, etwas schön zu finden. Vor allem nicht in einer Demokratie.

Politik hingegen ist objektiv – zumindest in einer demokratischen Kultur! Die Mehrheit entscheidet sich per Abstimmung. Die Vertreter*innen mit den meisten Stimmen setzen demokratisch legitimiert politische Programme um, wofür ihnen auch Gewalt zur Verfügung gestellt wird. Ob ein*e einzelne Bürger*in die Einzelentscheidungen der gewählten Vertreter*innen dann auch ganz subjektiv gut oder schön findet, spielt für die stattfindende Gewaltausübung keine Rolle mehr. In einer Demokratie ist die Gewaltausübung bewusst vom subjektiven Schönheitsempfinden Einzelner abgekoppelt.

„Politische Schönheit“ ist damit ein Widerspruch. Zumindest in demokratisch verfassten Staaten.

In einer Diktatur hingegen, ist „politische Schönheit“ durchaus möglich. Der Diktator oder die Diktatorin kann mit Gewalt umsetzen, was er oder sie persönlich schön findet.

Der eigentliche aber stark verklausulierte Name des Zentrums für politische Schönheit ist also „Zentrum für Diktatur“ oder einfacher „Zentrum für Demokratiefeindlichkeit“. 

Und tatsächlich ist eine Sehnsucht nach Diktatur und Despotismus in allen Werken und Äußerungen des Zentrums zu spüren. Eigentlich ist das stets die stärkste Kraft in allem. Man maßt sich die Gewalt an – reißt sie einfach an sich – um das umzusetzen, was man halt gerade so schön findet. Man stellt sich dabei gern gegen demokratisch gefasste Entscheidungen. Aber überbringt das dann mit einer herbeitrompeteten Macht-durch-Massenmobilisierungs-Drohung. „Wir reden für die Vielen.“ Aber der Kern ist stets Gewalt! Es gibt immer sehr starke Elemente oder gleich direkte Androhungen von physischer Gewalt: Tiger fressen Flüchtlinge, Kopfgeld auf Waffenproduzenten aussetzen, tote Flüchtlingskörper auftürmen …

Der Lösungsvorschlag ist: Man setzt sich über Gesetze und demokratische legitimierte Entscheidungen hinweg. Gerne mit Gewaltdrohungen. (Ich empfehle, mal den Wikipedia-Artikel zum „Hitlerputsch“ zu lesen und Namen und Schlüsselbegriffe mit denen des Zentrums auszutauschen und dann den Sound zu vergleichen.)

Update Dez. 2018:

Da. sie sagen es direkt selbst. Zitat vom Zentrumsgründer Ruch. Getwittert am 5. Dezember 2018

Ich denk, das ist der Grund, warum die Arbeiten des Zentrums immer direkt verpuffen. Sie werden sofort irrelevant, wenn der mediale Lärm darum abbricht. Sie sind einfach nicht dauerhaft anschlussfähig für eine demokratische Kultur. Deshalb fühlen sich die allermeisten Intellektuellen mit diesen Werken so unwohl. In weniger demokratischen Kulturen – z.B. einigen von Despoten regierte Staaten in Afrika – wäre ihre Wirkung und Relevanz wahrscheinlich langfristiger. Und wahrscheinlich würden sie dort auch von vielen als „inspirierend“ aufgenommen. Das Zentrum scheint auf jeden Fall auf eine solche Welt zu- bzw. gegen unsere Kultur anzuarbeiten.

Aber bei uns im Moment nerven diese Arbeiten nur mit ihrer Lärmigkeit und Medienwirkung. Und ich fühle mich von ihnen bedroht. Ich will nicht in so einer Welt leben. Wo strampelnde schreiende Kleinkinder ihre simplen Lösungsideen durchboxen können. Und ich finde es beunruhigend, dass Künstler mit einer solchen Aussage und Methodik, so dankbar von den Medien aufgenommen werden.

Update November 2017: Ein Jahr später gibt es wieder eine neue Aktion des Zentrums nach genau den selben Mustern. Ein AfD-Politiker wurde aktiv überwacht! „Weil das (…) Amt für Verfassungsschutz (…) keinen Anlass zur Überwachung der AfD sehe, habe ihm das ZPS einen „Zivilgesellschaftlichen Verfassungsschutz“ zur Seite gestellt.“ Was aber heute – ein Jahr später – anders ist: Wir haben Donald Trump bekommen und eine spürbare Veränderung darin, wie sich Politiker in Demokratien weltweit verhalten. Die Welt ist mehr so geworden, wie das ZPS sie zeichnet. Als Künstler spiegeln die Akteure vom ZPS damit die existierende Wirklichkeit. Das ist eine Aufgabe, die Kunst wahrnehmen kann. Allerdings tut man dies stets mit einer Haltung! Und die kann durchaus anders sein als die des ZPS. Man siehe sich z.B. aktuelle vergleichbare Arbeiten von Wolfgang Tillmans an. Oder schaue mal nach, was Thomas Mann im zweiten Weltkrieg gemacht hat und wie. Und ich denke, ich will nicht auf der Seite des ZPS stehen.

Update 2 November 2017: „dubiose Machtphantasie“, „Methodenarsenal totalitärer Regimes“ Der Spiegel (bzw. Christoph Twickel vom Spiegel) ist im Wesentlichen der gleichen Meinung